Max

Lieber Max,

... und wieder ist es Juni. Und wieder kommen die Erinnerungen zurück an diese schlimmen Wochen vor zehn Jahren. .... Und wieder drängt sich mir die Frage auf, warum wir, Deine Familie, damals erst am 1. Juni erfahren haben (und das auch nur durch unsere eigenen Nachforschungen), dass in Finisterre schon seit drei Tagen zu Land, mit Booten und per Hubschrauber nach Dir gesucht wurde? .... Deutsche Bürokratie. .... Ich versuche, zu verstehen, zu verzeihen und zu vergessen - doch die Erinnerungen holen mich immer wieder ein. ....

In tiefer Liebe und großer Sehnsucht, Deine Mama

Zum 29.05.2025

Mein lieber Max,

zehn Jahre schon! So lange schon ohne Dich - und doch auch immer mit Dir, mein lieber Sohn. Noch immer ist es mir, als ob das Unfassbare erst gestern geschehen wäre. .... So gerne wären Dein Papa und ich dieses Jahr endlich mal wieder nach Finisterre gereist. Doch leider ist es uns auch im zehnten Jahr nicht möglich, auf Deinen Spuren zu wandeln. So geht das auch heute wieder nur in meinen Gedanken. .... Finisterre - das Ende der Welt, wie die Menschen in früheren Zeiten glaubten. Finisterre - Dein Sehnsuchtsort. Dort endete Dein persönlicher Camino und dort endet heute auch wieder unser gemeinsamer, imaginärer Jakobsweg. 860 km warst Du damals zu Fuß unterwegs, zunächst auf dem Camino del Norte entlang der spanischen Atlantikküste und die letzten Tage landeinwärts auf dem Camino Francés bis nach Santiago de Compostela; am Schluss dann noch einmal zurück zu Deinem geliebten Meer, nach Finisterre. ....

Lieber Max, Du fehlst mir wie am ersten Tag und meine Sehnsucht nach Dir ist so groß. Aber ich weiß Dich geborgen bei Gott und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Dir in der Ewigkeit gibt mir jeden Tag neue Kraft, Zuversicht und Mut. ....

In tiefer Liebe und großer Sehnsucht, Deine Mama

Lieber Max,

heute vor zehn Jahren hast Du zusammen mit Mitpilgern die letzten km auf dem spanischen Jakobsweg zurückgelegt. Ich bin in Gedanken auch heute wieder dabeigewesen. Gegen 3 Uhr nachts bist Du damals schon aufgestanden in der Herberge in Pedrouzo und hast Dich zusammen mit den andern mit Taschenlampen auf den Weg gemacht. .... Am Monte do Gozo waren Wolken. .... Gegen 9 Uhr seid ihr schon an der Kathedrale in Santiago de Compostela angekommen. Im Pilgerbüro war wenig los. Dort hast Du wie alle Pilger die Compostela erhalten, die mir so gut gefällt - obwohl sie in lateinischer Sprache abgefasst ist und ich deshalb kein Wort verstehe. Aber in der Mitte des Textes steht in großer, schöner Schrift Dein Name, geschrieben mit schwarzem Füller und mit lateinischer Endung versehen. Deine letzte Urkunde war das, die Du bekommen hast, mein Sohn.  Für mich ist die Compostela ein wertvoller Schatz - weiß ich doch, dass Du sie einmal in Deinen Händen gehalten hast.

Irgendwann morgen Abend wird unser gemeinsamer, imaginärer Jakobsweg wieder zu Ende sein am Playa Langosteira unterhalb von Finisterre - und ich bleibe wieder alleine zurück - mit meinen Erinnerungen, meiner Liebe und meiner Sehnsucht. .... Deine Mama

Lieber Max,

nur noch wenige Tage, dann ist unser gemeinsamer, "imaginärer" Jakobsweg wieder zu Ende - und ich bleibe wieder alleine zurück. ....

Heute gedenke ich auch wieder Deiner Oma, die vor zehn Jahren gestorben ist. Sie war sehr krank und fast 76 Jahre alt. .... Nur vier Tage später musstest Du ihr folgen. Warum? Es gibt kein "Warum?" ....

"Weniger als 100 km bis Santiago de Compostela. ...." "Ultreia", Max und weiterhin "Buen Camino"!

In tiefer Liebe und großer Sehnsucht, Deine Mama

Lieber Max,

Dein Eintrag heute vor zehn Jahren im Reise-Tagebuch: "Tag 24: La Caridad - Ribadeo - Vilela (35 km) .... Hallo Galicien, .... . Adios la Mer!"

Nur noch eine Woche "wandern" wir gemeinsam auf unserem imaginären Jakobsweg - dann bleibe ich wieder alleine zurück. .... Du fehlst mir so, mein Kind!

In ewiger Liebe und großer Sehnsucht, Deine Mama